Hugo Reichlin
1925-2016

 

Hugo Reichlin kam 1925 zur Heidelbeerenzeit auf die Welt. Warum sein Vater den Jüngsten der Familie Hugo taufte, weiss niemand. Wir vermuten, dass der Vater viel über grosse Männer Namens Hugo gelesen hatte.

Die Vorschulzeit verbrachte er mit seinen Eltern und vier Geschwistern im Feld. Er erlebte eine schöne Kindheit, in der er viel spielte. Sein liebstes Spiel war „röttelen.“, ein Spiel mit Pfählen

Im Kindergarten, so erinnerte er sich, habe die Nonne Orangen und Bananen verteilt, die allesamt mit Schalen gegessen wurden.

An den ersten Schultag konnte sich Hugo noch genau erinnern. Viele Kinder wurden schon damals von ihren Müttern begleitet. Aber dies wollte der Erstklässler Hugo auf keinen Fall. Er rückte selbstverständlich ohne Begleitung an. In der 1. Klasse waren insgesamt über 60 Kinder. Die 1. Klasse war auch das einzige Schuljahr, in dem er gerne zur Schule ging. Er habe alles „Einsen“ gehabt. In den nächsten Primarschuljahren erinnert er sich nur noch an die Schulreisen nach Bad Pfäfers, Kosten 2.10 Fr. und auf den Guscha, Kosten 60 Rappen

Mit zehn Jahren schnitzte er beim bekannten Schnitzer Stoop Justus bereits seine erste Holzmaske. Eine „zünftige“ Narbe erinnerte ihn Zeitlebens daran. Er entwarf zudem Schnittmuster für Puppenröckli. Es zeigte sich schon damals, dass klein Hugo den Drang verspürte, sich kreativ zu betätigen. 

Als zwölfjähriger Bub starb sein Vater mit 59 Jahren an einem Magengeschwür und hinterliess die Mutter mit ihren fünf Kindern. Dies war für Hugo ein hartes Erlebnis. Er lernte, sich durchzusetzen und für sich selber zu sorgen. Clemens, sein ältester Bruder, übernahm die Stelle des Vaters. Als Buchhalter bei der Firma Spoerry half er, die Familie finanziell über Wasser zu halten, was zu dieser Zeit nicht immer so einfach war.

In der Sekundarschule interessierte sich Hugo nur noch für das technische Zeichnen. Damals herrschte Krieg. Deshalb wurde die Schule fast am Ende des letzten Schuljahres von einem Tag auf den anderen geschlossen.

 

Die Gesellenjahre:

 

Durch das abrupte Ende der Schulzeit beschloss die Familie, Hugo als Bäckereiausläufer nach Rapperswil zu schicken. Diese Arbeit bei Wind und Wetter, natürlich auch bei schönem, fasste ihn hart an und er wurde richtig „geschliffen“.

Im April 1940 trat er dann die dreijährige Töpferlehre in Berneck an. Von diesem kreativen Beruf, in dem man etwas Eigenes, Einzigartiges herstellen konnte, war er total begeistert. Er durfte sich nebst dem Besuch der kunstgewerblichen Abteilung der Gewerbeschule St. Gallen auch ins Goldene Buch eintragen. Trotz dem Spass, den er bei der Arbeit hatte, war diese Zeit für ihn ein Hundeleben. Er hatte zu wenig zu essen. Oft nahm er ein Dutzend Äpfel mit ins Zimmer, die für ihn das Bettmümpfeli bedeuteten. Während den späteren Kriegsjahren arbeitete er im Fürstentum Liechtenstein, in Zürich und in Lausanne als Keramiker. In Zürich genoss er zum ersten Mal die Fünftagewoche mit einem Stundenlohn von 2.20 Fr. 

1945 rückte er als Rekrut ein. Da es die erste RS nach dem Krieg war, bestand die Ausbildung noch voller Drill. Auch bei all der Tortur vergass Hugo den Humor nie.

 

Eröffnung der eigenen Töpferei und des Café Restaurant Post

 

Nach den Jahren in der Fremde eröffnete er im August 1948 den Betrieb einer eigenen Töpferei im Elternhaus in Flums. Mit einfachsten Mitteln, den Kompressor baute er aus einem Motorradmotor, konnte er voll aus seiner Eigenart und seinem persönlichen Stil schöpfen. Als Töpfer machte er sämtliche Arbeiten vom Drehen, über das Brennen bis zum Verkauf und verwendete alle damals zur Verfügung stehenden Materialien. Das Modellieren mit Ton, das Malen von wunderbaren Keramikbildern und die Holzbearbeitung waren Tätigkeiten, die seine spätere Arbeit prägten.

Zu dieser Zeit wurde das Postgebäude auf dem Postplatz errichtet. Hugo packte die Chance und eröffnete das kleine, gemütliche Café Post. Seine faszinierenden Fasnachtsdekorationen und die schöne Gartenwirtschaft mit der Traubenlaube, sind sicher noch vielen Leuten in Erinnerung. Dazu war er der Erste, der eine Kaffeemaschine besass, mit der man einzelne Tassen Café und natürlich Espresso machen konnte.

 

Hugos Familie

 

Am 19. Mai 1952 heiratete er seine grosse Liebe Johanna Sophie Ramer aus Tscherlach. Sie war gelernte Kinderschwester.

Die Hochzeitreise führte das übermütige Paar ins Tessin. Nach 50 Jahren besuchten die Beiden nochmals dieses Hotel und feierten zudem die Geburtsstunde ihrer ältesten Tochter Verena. Mit den Jahren kamen noch die drei Söhne, Leo, Markus und Ewald hinzu.

 

Kreatives und Kulinarisches

 

Mit grossem Elan führten Hugo und Johanna das Café Post. Die darauffolgenden Jahre widmete Hugo vermehrt seinen künstlerischen Ideen. Das Schnitzen von Holzlarven und von Druckstöcken für seine Holzschnitte, die bis zu 8-farbig gedruckt wurden, war seine liebste Freizeitbeschäftigung, die ihn im Laufe der Zeit viel beanspruchte.

Mit der Alkoholpatenterteilung im Café Post, im Jahre 1967, schlug die Geburtsstunde des bis heute wohlbekömmlichen Schnapses, dem „Hofnarr.“

Kurz darauf entstand auch das Rezept des Hofnarrentopfes. Der Drang, uns alle immer wieder mit neuen Rezepten zu überraschen, hielt an.

 

Der Weinkeller

 

Hugo verstand es auch, seine Gäste nicht nur kulinarisch zu verwöhnen. Bald darauf entstand im Pöstli die Türe zum Weinkeller, sein Prunkstück. Der aus Beton modellierte Torbogen umrahmt die hölzerne, einzigartige Holztüre, welche mit vier Larven zu öffnen und mit der Hilfe der geschnitzten Anleitung aufzumachen ist.

Die Türe ist so imposant, dass selbst ein Regierungsrat von St. Gallen gesagt hat: „Hugo, wer diese Türe nicht gesehen hat, hat eine Bildungslücke.“ Auf dieses Kompliment war Hugo besonders stolz.

 

Schwarze Engel Flums / Schlossnarren Sargans

 

Da die Fasnacht während der Kriegszeit stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, gründete Hugo 1954 mit 15 anderen Männern die Fasnachtsgruppe „Schwarze Engel“. Mit der Zeit wurde diese „Institution“ zum festen Bestandteil der Flumser Fasnacht, die heute im ganzen Sarganserland bekannt und nicht mehr wegzudenken ist.

 

Im Jahre 1976 gründete er die Schlossnarren von Sargans. Mit einer Urkunde dokumentierte und eröffnete Hugo das erste Städtlifest. Der Schlüssel, der aussen an der Fassade vom Schloss Sargans hängt und anzeigt, ob die Gastwirtschaft geöffnet ist oder nicht, ist ebenfalls eine Innovation von Hugo. Durch die Gründung dieser beiden Institutionen signiert er seine Arbeiten fortan mit Hugo I., als deren Gründer er diesen Ehrennamen trägt.

Alle diese „Geburten“ hat nicht der Storch gebracht. In der Sekundarschule habe der Lehrer ihm einmal gesagt: „Hugo, du hast eine „Rossfantasie“. Er sollte Recht bekommen! Die vielen Arbeiten aus Holz, Keramik, Leder, Papier, Farbe, Blech und Stoff bestätigen die Aussagen des Pädagogen.

 

Fernsehauftritte

 

1969 trat Hugo das erste Mal im Bayerischen Fernsehen auf. In Robert Lembkes Sendung „Was bin ich?“ mussten die Kandidaten mit Fragen, die Hugo mit ja oder nein zu beantworten hatte, herausfinden, welche Tätigkeit Hugo ausübt. Er war der bekannte Maskenschnitzer aus der Schweiz.

Das zweite und dritte Mal war er zu Besuch von Wysel Gyr’s Sendung „Für Stadt und Land“. Das erste Mal, 1977, ging es darum, einzigartige Instrumente vorzustellen. Das Hugophon als Musikinstrument wird gespielt über Orgelpfeifen, Mostschlauchklappen und handbetätigtem Blasbalg. Das zweite Mal trat Hugo mit dem Rhythmusinstrument Hugorhythmik auf. Die Hugorhythmik ist auf einer Wand montiert. Durch das Hin- und Herschieben zweier Holzriegel werden Büchsen und Bleche angeschlagen. Taktvoll! Selbst Wysel Gyr bezeichnete ihn als originellstes Original, das er kenne, und es sei schade, dass so „Chlüterer“ wie er, leider aussterben.

 

Das Leben auf Schloss Gräpplang

 

Im September 1970 kaufte Hugo das Schloss Gräpplang. Ab dieser Zeit verbrachte er dort seine freie Zeit mit viel Herzblut beim Renovieren und Umbauen.

1985 übernahm sein Sohn Markus mit seiner Frau Bettina das Cafè Post.

Das war dann der Zeitpunkt, als Hugo und Johanna ins Schloss zügelten. In dieser Zeit konnte er sich in seiner geliebten Bude nochmals voll und ganz seiner kreativen Phase widmen. Mit Johanna zusammen genoss er wunderschöne und dankbare Jahre. Er liebte es, wenn die ganze Familie samt Gross- und Urgrosskinder auf Besuch kamen. Er freute sich auch immer auf die unzähligen Besuche von Bekannten und Freunden aus nah und fern.

Im letzten Sommer feierten wir seinen 90. Geburtstag. Ungefähr ab dieser Zeit liessen seine Kräfte kontinuierlich nach. Es war eine intensive Zeit, in der wir ihn begleiten durften. Sein Schalk, sein Charme und sein spitzbübisches Lächeln hat uns immer wieder spüren lassen, dass er uns gern hat. Diese und viele andere Erinnerungen an lustige und fröhliche Feste machten dich, lieber Nini, so liebenswert. Eine Locke von deinen schlohweissen, schönen Haaren, die du immer gerne ein bisschen länger getragen hast, erinnern uns nebst vielen anderen Kunstwerken an die schöne Zeit mit dir. Wie auch ein Spruch vom Himmelbett:

Es ist besser einen gescheiten Mann nicht zu verstehen, als von einem dummen gelangweilt zu werden.

Nach einem  einwöchigen Spital-Aufenthalt, in dem wir uns alle liebevoll von dir verabschieden konnten, hast du uns am 20. April morgens um halb fünf würdevoll verlassen.

Lieber Vater, Grossvater, Urgrossvater und Schwiegervater, lieber Hugo, wir danken dir für alles und wir werden dich nie vergessen. Du warst eine einmalige Persönlichkeit, ein Paradiesvogel und der Leonardo aus dem Sarganserland.